Für die, die nicht im Oltner-Forum lesen...
Der Secondhand-Spieler: Noël Guyaz, SC Langenthal
Es riecht nach kaltem Schweiss in alten Schlittschuhen. Eine Mutter kommt mit ihrem Sohn in den Secondhand-Laden von Noël Guyaz in Bützberg im Oberaargau, 3000 Einwohner, gleich neben Langenthal. Guyaz kennt die Familie, er fragt, wie es gehe. Alles super, sagt die Mutter, der Bub sei zügig gewachsen, manche Teile der Ausrüstung seien zu klein, und bald beginne die Saison.
Seit zwei Jahren führt der Eishockeyspieler Noël Guyaz aus Langenthal mit einem ehemaligen Mitspieler einen Laden für gebrauchtes Eishockeymaterial an der Hauptstrasse von Bützberg. Guyaz, 42 Jahre alt, volles Haar, Dreitagebart, trägt Bermudas und Turnschuhe. Er wirkt durchtrainiert, das T-Shirt spannt an der Brust. Manche Eishockeyspieler sind im August das Ergebnis der Steaks und Biere vom Sommer. Guyaz sagt, der Körper sei sein Kapital, in seinem Alter könne er nicht «nur halb zwäg» sein. Er ist mit Abstand der älteste Spieler im Nationalliga-B-Club SC Langenthal. Ein Secondhand-Spieler, aber noch in gutem Zustand.
Mehrmals in den vergangenen Jahren wollte Guyaz seine Karriere beenden. Stets kam etwas dazwischen, meist war es seine Gutmütigkeit. Im Frühjahr musste der SC Langenthal zwei gute Verteidiger an andere Vereine abgeben. Guyaz war abermals bereit, ein Jahr anzuhängen. Weil er noch Freude am Spiel hat. Aber auch dem Verein zuliebe, dem Städtchen, weil der SCL etwas zählt hier in der Gegend. Guyaz sagt, er sei fast zu alt für die Senioren. Diese Saison sei wirklich die letzte. Das habe er schon oft gesagt, sagen die Kollegen.
Mit 15 Jahren spielte Noël Guyaz zum ersten Mal für Langenthal in der 1. Liga. Nach dem ersten Lehrjahr als Hochbauzeichner in Langenthal wechselte er zum Zürcher Schlittschuh-Club in die Nationalliga A. In Zürich lernte er das Leben kennen, die Zürcher Spunten. Das waren die Zeiten, als Eishockeyspieler auf ihren Sauftouren noch nicht von Handykameras gefilmt wurden.
Nach drei Jahren schloss Guyaz die Lehre in einem Betrieb in Zürich ab, mit 23 ging er ins Tessin zu Ambrì-Piotta, dann zu Chur, zu Lugano, zu Rapperswil, überall blieb er mindestens drei Jahre. Manche Leute sagen, die Jahre in Zürich seien nicht gut gewesen für Noël Guyaz’ Karriere. Guyaz zuckt mit den Schultern und grinst. Mit dem HC Lugano hatte er die beste Zeit; zweimal gewann er den Schweizermeistertitel. Im starken und teuren Team war ihm keine Führungsrolle zugedacht. Er war der Arbeiter, der aufpasste und verteidigte, wenn die Stars stürmten und Goals schossen. Die Aufgabe gefiel ihm, und er erledigte sie so pflichtbewusst, dass er mit 31 Jahren für die Nationalmannschaft aufgeboten wurde. Die Experten waren überrascht, Guyaz verspürte Genugtuung.
«Ich wäre gerne an eine Weltmeisterschaft oder an Olympische Spiele gefahren. Doch andere waren besser», sagt Noël Guyaz. Er sitzt auf dem Bürostuhl im Laden, telefoniert, legt auf, kritzelt etwas auf ein Papier und sagt. «Das Eintöggeln ist fast die grösste Arbeit.» Er meint die Buchhaltung.
Im September ist Noël Guyaz in seine 24. Saison gestartet, er spielte bis anhin mehr als 950 Mal in der Nationalliga, das gelingt wenigen. Überall, wo er spielte, gefiel es ihm. Doch nirgends hatte er Mühe zu gehen. Er hat die Karriere nie geplant, hat sich nie falsche Hoffnungen gemacht und den Sport nie für wichtiger genommen, als er ist. Diese Fähigkeit haben im Sport nicht viele. Für die meisten Sportler ist der Sport das Leben. Verliebt hat sich Guyaz allenfalls ein wenig in den HC Lugano, weil die Fans ihn mochten und das Leben im Tessin schön war. Und in den SC Langenthal, wo ihn die Leute Noudi rufen und früher sein Vater spielte, ein Versicherungsagent mit Vorfahren im Waadtländer Jura.
Guyaz sagt, die grössten Erfolge seines Lebens seien sein Sohn, der zehn Jahre alt ist und Goalie bei den Junioren des SC Langenthal, und seine Frau, die aus Lotzwil kommt, einem Nachbardorf. Vor elf Jahren hat er sie geheiratet. 24 war er, als er wegen einer Verletzung für ein paar Tage nach Hause kam, an die Langenthaler Fasnacht ging, ein paar Biere mit Kollegen trank – plötzlich war sie da. Seine Frau begleitete Guyaz nach Chur, Lugano, Rapperswil. Jetzt wohnen sie im Rumiweg 17 L in Langenthal. Ein Einfamilienhaus mit Garten, es gehört ihnen. Ein Skoda Fabia Combi.
Drei Tage die Woche steht Noël Guyaz in seinem Laden. Mehr geht nicht, er hat jeden Tag Training und mindestens zwei Spiele pro Woche. Das Geschäft laufe immer besser. Aber es sei eher ein Hobby. Mehr als 1000 Franken im Monat verdient er damit selten. Er ist nicht auf die Einnahmen angewiesen. Für die wichtigsten Schweizer Spieler zahlt der SC Langenthal je nach Rang am Ende der Saison 90 000 bis 100 000 Franken im Jahr. Früher, in der Nationalliga A, hat er mehr als das Doppelte verdient, in Lugano noch mehr. Guyaz war nie ein überragender Spieler. Im Schweizer Eishockey muss man das nicht sein, um gute Verträge zu unterschreiben.
Nach der Karriere als Spieler möchte Noël Guyaz Trainer werden. Das wollen viele Spieler, weil sie im alten Umfeld ihre Chancen sehen. Aber nur wenige schaffen es. Von 22 Trainerjobs in der Nationalliga sind zu Beginn der Saison 9 an Schweizer vergeben. Die Kollegen sagen, Guyaz wäre ein guter Trainer, weil er zuhören könne und selten poltere in der Garderobe, und wenn doch, dann sei es bitter nötig, dann würden alle zuhören. Seit zwei Jahren leitet Noël Guyaz in Langenthal nebenher die Eishockeyschule für die ganz Kleinen, immer am Samstagmorgen, die Eltern und Grosis schauen zu, viel Geschrei und viele Tränen.
Noël Guyaz sagt, das sei tipptopp.
Link zu den Berichten über Aeschlimann, Bürki und Guyaz:
http://folio.nzz.ch/2013/oktober/andere-waren-besser