Frauen-Nati: Blick hinter die Kulissen

15.4.2011 - Von Martin Merk

Am Samstag steigen die Schweizerinnen gegen den Co-Favorit Kanada (Winterthur, 20 Uhr) in die Frauen-WM. hockeyfans.ch wagt einen kleinen Blick in den Alltag der Betreuer.

Mit ihrer Ausrüstung mögen die Nationalspielerinnen modern aussehen, doch das Frauenhockey hat doch die eine oder andere Parallele zu den Anfängen des Männer-Eishockeys in der Vorkriegszeit. Einerseits wird es von Kanada und den USA deutlich dominiert, wie dies auch im Herren-Eishockey über Jahrzehnte üblich war, als das Internationale Olympische Komitee etwas mehr Geduld zu haben schien.

Andererseits wird bei der Weltklasse im Frauen-Eishockey auch heute noch bei einigen Teams das Amateurtum zelebriert. In der Schweiz etwas mehr als bei den anderen Teilnehmern. Trotzdem gehen die Schweizerinnen als Weltrangliste-Fünfte ins Rennen.

Während in Nordamerika Strukturen zu einer echten Profiliga am heranwachsen sind und etwa in China, Russland oder Kasachstan mit niedrigerem Lohnniveau sich viele Spielerinnen ebenfalls vollberuflich aufs Eishockey konzentrieren, wird auch in anderen Ländern mehr fürs Frauenhockey ausgegeben.

Im Schweizer Team lässt sich jedoch kaum ein Vollprofi finden. Eine Exotin ist etwa die routinierte Kathrin Lehmann, die in den letzten Jahren in Deutschland und Schweden als Fussballtorhüterin und Eishockey-Stürmerin bei Top-Clubs ihr Geld verdiente. (Auch diese Kombination gab es früher unter den Männern!)

Die meisten anderen Spielerinnen haben ihren Fokus entweder auf Beruf oder Studium, darunter auch drei Nationalspielerinnen, die in den USA auf höchster Ebene im College-Hockey tätig sind. Die jüngeren unter den Spielerinnen können auch noch mit den Jungs bis in der Altersstufe Novizen (Torhüterinnen auch Elite-Junioren) mitspielen. Aber mit dem Sport Geld zu verdienen bleibt für viele, wenn überhaupt, ein Traum.

Nicht viel anders sieht es hinter den Kulissen aus, wo die Spielerinnen vornehmlich von Herren trainiert und betreut werden.

René Kammerer etwa kam vom Herren-Eishockey, wo er als Trainer und Spieler bis zur 1. Liga mit Uzwil tätig war, zu den Damen. 2002 als Assistenztrainer der Frauen-Nationalmannschaft, seit 2004 als Headcoach.

Frauen-Nationaltrainer ist für ihn wie auch bei den Spielerinnen nicht wirklich ein Beruf. Er arbeitet als Produktionsmanager in einem Metall-Druckguss-Unternehmen und muss sich für Weltmeisterschaften und andere Turniere Ferien nehmen. Damit ergeht es ihm gleich wie den meisten anderen im und um das Team.

„Es ist zuweilen sehr schwierig“, gesteht Kammerer ein. „Zum einen sind es die reinen Tage, wo Zusammenzüge anstehen. Zudem kommen die ganzen Vor- und Nachbereitungen, die sehr viel Zeit und Energie benötigen. Für Ferien mit der Familie bleibt nicht mehr viel übrig.“

Kammerers Assistenztrainer Michael Fischer ist ebenfalls seit 2004 bei der Frauen-Nationalmannschaft, gehört in der Szene jedoch eher zu den Urgesteinen, als er 1991 in St. Gallen erstmals erfuhr, dass es Frauenhockey gibt und in St. Gallen Assistenztrainer wurde.

An die spezielle Jahresplanung hat sich der SBB-Projektmanager bereits gewohnt. „Ich habe zum Glück so weit möglich flexible Arbeitszeiten und kann einige Zeit vor- oder nachholen. So bleiben noch Ferientage frei für Urlaub mit der Familie. Dafür bin ich dankbar“, sagt Fischer. Nach 15 Jahren ist für ihn daher die Gratwanderung so gut wie normal geworden.

Zu den guten Seelen im Schweizer Frauen-Eishockey gehört auch Philipp Steiner, der vor 19 Jahren beim Frauen-Team von Bülach aushalf und später Trainer wurde. 2007 stiess er zur Nationalmannschaft, zuerst um Anlässe zu organisieren, und schon wenig später als Delegationsleiter. Gleichzeitig trainiert er in der LKA den SC Reinach.

Hauptberuflich ist der in der IT-Branche tätig und alles unter einen Hut zu kriegen daher eine Herausforderung.

„Es erfordert enorme Koordination auch im Geschäft, was nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist“, sagt Steiner, der seit 2007 alle Ferientage für die Frauennati nutzen musste. „Das nagt schon sehr an der Substanz.“

Und trotzdem sind sie alle seit Jahren dabei, um die Schweiz in Richtung Spitze zu führen. Zuletzt wurden die Schweizerinnen an den Olympischen Winterspielen in Vancouver Fünfte. Einen Rang, den sie auch in der Weltrangliste eingenommen haben.

Damit war die Schweizer Frauen-Nati nicht nur besser als jene der Männer (8.), sie waren auch besser klassiert als die Schweizer Olympiadelegation (6.) insgesamt.

Dies weckte auch den Schweizer Verband etwas auf, um etwas mehr fürs Frauen-Eishockey zu machen. Als man vor einem Jahr sah, dass sich noch niemand für die dieses Jahr in Europa vorgesehen Frauen-WM beworben hatte, nahm die SIHA erstmals in ihrer Geschichte diese Herausforderung an.

Es ist die erste Frauen-WM nach der Olympiade, wo hohe Siege der Nordamerikanerinnen das Internationale Olympische Komitee auf den Plan brachte und der IOK-Präsident Jacques Rogge seine Ungeduld öffentlich tat. Seither stellt auch die IIHF mehr Geld für Frauenprojekte zur Verfügung. Während der Frauen-WM findet auch erstmals ein Trainersymposium fürs Frauen-Eishockey statt.

Oft wird kritisiert, dass der Rückstand der europäischen Länder auf die Nordamerikanerinnen nicht schrumpft. Dabei hat sich das Frauen-Eishockey auf allen Ebenen enorm weiterentwickelt. Für Kammerer ist es fast eine Zeitreise, wenn er Videos von 2004 sieht.

„Es ist viel physischer geworden. Schneller, präziser, technisch und taktisch. Du merkst, dass in vielen Ländern mittlerweile professionell gearbeitet wird“, sagt Kammerer. „In der Schweiz ist es so, dass die Rahmenbedingungen oft einfach schlecht sind. Da bekommen die Clubteams kein Eis, können nicht in Garderoben und so weiter. Ja selbst wir als Nationalteam mussten schon erleben, dass wir eher unerwünscht sind.“

„Die Entwicklung ist enorm“, sagt auch der Team Manager Steiner. „Wir müssen gehörig aufpassen, dass wir nicht stehenbleiben, denn rund um uns herum wird international teilweise kräftig in das Frauenprogramm investiert, was sich irgendwann für diese Nationen ausbezahlen wird. Wir dagegen versuchen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Emotionen dagegenzuhalten.“

Geld ist ein Problem, aber für Kammerer ist es auch eine Einstellungsfrage. „Alle Eishockeyklubs und Funktionäre sollten einsehen, dass bei Mädchen oder Frauen Potential ist, welches heute weitgehend brach liegt“, sagt der Nationaltrainer. „Diese sollten in allen Klubs aufgenommen werden. Heute werden diese oft noch ausgeschlossen. Damit würde sich das weit verbreitete Nachwuchsproblem etwas entschärfen.“

Frauenhockey solle, so Kammerer, als Ergänzung zum Männerhockey gesehen werden. Als Markt mit Wachstumspotenzial, wie man es in der Wirtschaft ausdrücken und handhaben würde.

Für Kammerer wird die WM ein wichtiges Turnier. Ob das Frauenhockey davon profitieren kann, hängt auch davon ab, wie stark die Schweizerinnen spielen. Daher lastet ein gewisser Druck auf das Team.

„Es wird eine Frage, wie wir in das Turnier starten können. Alle unsere Vorrundengegner konnten und können mehr Ressourcen als wir einsetzen“, sagt Kammerer. „Von da her sind wir Aussenseiter. Auf der anderen Seite hat unsere Mannschaft ein unglaubliches Potential. Wo die Grenzen sind, ist offen. Wo die Limiten sind wird sich zeigen, ich selber bin überzeugt, dass wir Grosses zeigen können. Weiss aber auch, dass der Grat schmal ist.“

Dabei ist bereits beim Turnierstart gegen Kanada eine Niederlage vorprogrammiert, denn Kanada und die USA spielen in ihrer eigenen Liga und haben bislang noch kein anderes Team ins WM-Finale kommen lassen.

Wie sehr die Schweizerinnen (und andere europäischen Teams) gegen die Nordamerikanerinnen Aussenseiter sind, zeigte sich, als sie sich in Vancouver über eine 1:10-Niederlage zum Start halbwegs freuen konnten. Es war das erste Schweizer Tor gegen Kanada überhaupt.

„Wir hatten uns dies vorgenommen. In der ganzen Vancouver-Kampagne haben die Kanadierinnen genau zwei Tore erhalten. Eines davon gegen uns“, sagt Kammerer nicht ganz ohne Stolz.

Gegen den Weltranglisten-Dritten Finnland liegt schon eher eine Überraschung drin, auch wenn die Schweiz Aussenseiter ist, während die Schweizerinnen gegen Kasachstan unter Siegeszwang stehen.

Die Finnen wurden letzten Winter beim MLP Cup besiegt, auch wenn beide Teams nicht komplett waren.

„Weshalb nicht auch an der WM?“ stellt Steiner in den Raum. Mit der WM hofft er, dass Frauenhockey durch die WM an mehr Breite gewinnen kann. Derzeit sind etwas mehr als 1000 Spielerinnen registriert bei total über 25000 beim Verband lizenzierten Spielern. Würde man Mädchen eine Chance geben, könnten viele Clubs auch die fehlende Breite bei sich im Nachwuchs entschärften.

Doch nun liegt der Fokus ganz auf die WM. In der laufenden Saison haben die Schweizerinnen drei Turniere gewonnen, wenn auch oftmals nicht die Top-Nationen dabei waren.

„Ich bin zufrieden“, sagt Kammerer. „Wir haben sehr vielen Spielerinnen Eiszeit geben können.“

Wie sich dies auf dem Eis zeigen wird, wissen wir bald. Und die Schweizerinnen hoffen, dass die 3000 Sitzplätze fassende Eishalle Deutweg in Winterthur zu einem kleinen Hexenkessel wird.

Zumindest medienmässig sind erste Erfolge sichtbar. Die sonst von der Presse beinahe ausgeschlossene Frauen-Nationalmannschaft ist mit der Heim-WM zum Thema geworden. Und das Schweizer Fernsehen wird von den Spielen Zusammenfassungen zeigen. Bleibt zu hoffen, dass die Schweizerinnen auch auf den Rängen die nötige Unterstützung erhalten wird.